Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Saugethiere.
Aweite Vrdnnng.
und geschieht in schiefer Richtung, indeni abtoechfelnb
der eiiie oder andere Danmennagel anhaltend den Korper
nach sich zieht (Fig. 117.). In bohlen Baumen und an
Drathgittem der Kafige gehtdiefes Kriechen zwar schneller
von Statten, indessen i ft der ebene Boden nicht fur Fle-
dermanse gemacht, sondern die Lust ihr eigentliches Ele-
ment. Jhr Gernch- und Horsinn sind, wie man schon
aus der Einrichtnng unb Enttoickeliing der Ohren und
Nase abnehmen fann , von nngetbhhnlicher Scharse.
Verschiebene Gattungen tragen znr Verstarkiing des
Riechsinnes auf der Nase blattartige, vielgestaltige Mem-
branen, toahrenb die auferen, sehr grosien unb Hantigen
Ohren unter einander durch eine Hant in Verbindung
stehen, iuwendig besondere Lappen und Vorsprunge zei-
gen oder so eingerichtet sind, dah sie sich zusammenfalten
lassen. Bei der Scharse und Reizbarkeit der Hornerven
War die letztere Einrichtung nhthig, um wenigstens zu
Zeiten das Eindringen Heftiger Schallstrahlen zu ver-
Hindern; die tuneren Anhange und die Grosie der auf-
richtbaren Ohrmuschel bezweckt hingegen scharfere Ans-
fassung des Schalles und somit feineres Horen (s.
Fig. 123., welche den Kops der Kleeblattnase, Megaderma
trifolium, einer ostindischen Fledermaus, darstellt). Den
Fuhlsinn besitzen die Fledermause in so tingetoohnlichem
Grade und unter so eigenthumlichen Formen, dasi man
schon an das Vorhandensein eines ihnen allein zustehen-
ben, besonberen Sinnes gedacht hat. Von jeher hat man
mit Verwunberung bemerkt, dasi Fledermause auch im
schnellsien Fluge unb in vollkommen dunkeln, mit vielen
Hindernissen erfullten Raumen nirgends anstosien, son-
dern mittels der geschicktesten und kurzesten Wendungen
ausweichen, bie engsten Oeffnungen tressen und fogat
ztoischen Faden durchfliegen, die man abstchtlich und in
den verschiedensten Richtungen ausgespamit hat. Um
sich von diefen Thatfachen zu uberzeugen, hat man Fle-
dermause geblendet und dann in hellen, jedoch in ange-
gebener Art vorgerichteten Zimmern fliegen lassen. Spal-
lanzani hat viel Zeit auf die Erforschung dieser Wun-
derbaren Eigenschaft verwendet, zu deren Erklarung man
annimmt, dasi die Fledermause als eigentliche Luftthiere
in ihren unbehaarten, dunnen, sehr zarten und grosien
Flughauten und Ohren das feinste Gefuhl fur Verande-
ruugen des Luftdrucks haben muffen. Vermuthlich ver-
mogen sie die verfchiedenen Zustande genau zu unter-
scheiden, in welchen sich die Luft besindet, je nachdem sie
vollig ruhig oder betoegt ist, eine wechfelnde Temperatur
hat oder fchichtenweis, da wo fle mit festen Korpern in
Beruhrung steht, veranberte, uns allerdings unbegreis-
liche und von unseren Sinnen nicht abzuschatzenbe Ei-
genschaften besitzt. Fledermause sind nur in der Dam-
mernng oder deS NachtS thatig; den Tag verbringen sie,
verkehrt an den Hinterfusien aufgehangt, im tiefen Schlafe.
Manche Arten versammeln sich unglaublich zahlreich in
gemeinsamen Schlafplatzen; die Blattnasen (Phyllo-
stoma) bevolkern die Hohlen des tropischen Amerika,
und in Java soll ein Baum, dicht beladen mit den an
Aesten reihenweis aufgehangten Pteropus, einen sehr be-
sonderen Anblick darbieten. In unseren Klimaten uber-
wintern Fledermause in derselben Stellung, in welcher
sie zu schlafen pstegen. Ob die Chiropteren Heisier Lan-
der gleichfalls den Winter verschlasen, ist noch niient-
schieden, obwohl nicht ganz unwahrscheinlich, indem man
dieses allerdings von manchen Thieren der Tropenlander,
z. B. vom Tenrec, einem dem Jgel nahe Verwandten
Bewohner Madagascars, weisi. — Die Familie ber
Fledermause ist sehr artenreich unb, mit Ausnahme der
faltesten Lander, uber die ganze Erde verbreitet, aber vor-
zngsweis haufig und grosi sind bie Chiropteren in ivar-
men Klimaten. Sie nahren sich in der Mehrzahl von
Jnsecten, einige auch als Blutsauger; im Verhaltnisse
leben toenige von Baumfruchten und plundern bie Gar-
ten; in Brasilien sollen mehrere Arten zumal den Feigen
nachstellen, die man gegen sie nicht zu schutzen vermag,
indem sie selbst unter auSgefpannte Schutznetze kriechen.
In systematischer Beziehung ist die Stellung der ztoei
Zitzen auf der Brust nicht ohne Wichtigkeit; das Gebisi
ift mannichfaltig; die beiden Unterkieferaste sind in der
Mitte fest verknochert und vertoachfen toie am Menfchen
und Affen. Eigenthumlich ist ben Fledermaufen ein
griffelformiger Knochen (Fig. 111. s), der, auf dem Fer-
fenknochen auffltzend, die ztoischen den Hinterfusien be-
findliche Flughaut unterftutzt. Die systematische Ein-
theilung der ganzen Familie beruht auf einfachen Merk-
malen; man unterfcheidet 1. Fruchtfresfer, deren Bak-
kenzahne enttoeder vollig platte, oder doch stnmpfhockerige
Kronen haben, und 2. Jnfectenfreffer, deren Backen-
zahne mit scharfen Spitzen befetzt sind. Die letzteren
zerfalten toieder in ztoei Unterabtheilungen, je nachdem
sie auf der Nafe blattartige Hautanhange tragen, oder
nicht. Bei der grosien Menge von Arten i ft es den Sy-
stematikern nicht fchtoer getoorben, eine Menge kleinerer
Familien festzustellen, deren Anseinandersetzung jedoch
hier zutoeit fuhren tourde. Geoffroy, Spir unb J. E.
Grah haben sich um bie Kenntnisi bieser Thierelafse viele
Verbienfte ertoorben.
Erste Familie. Fruchtfresfer.
I. Fliegcuder Hund, Flederhund. (Pteropus.)
Gattungscharakter: Vorderzahne oben unb un-
ten 4, kegelformig, kurzer als bie breifeitigen Eckzahne.
Backenzahne jederfeits oben 5 (4), unten 6, breitkronig,
stumpfhockerig. Kopf fuchs- oder hundeahnlich (Fig.
112. Schadel vom Pleropus keraudrenianus); Schnauze
spitzig. Ztoifchenschenkelhaut kurz.
1. Der Kalong. (Pteropus javanicue.) Fig. 113.
Der Kalong stelltbie grosite Art ber Gattung bar, misit
guer uber bie ausgefpannten Flugel 4%—5 Fusi, ist 15
Zoll lang, auf bent Rucken schtoarzlich, auf VorderhalS
unb Schultern rostroth gefarbt unb betoohnt bie nieberen
Gegenben Java's. Nach Horsfielb's Versicherung Hangen
einige Hunbert Kalongs an demfelben Baume, zumal an
einer getoiffen Feige, bie, bem Banianenbaume ahnlich, in
ber Nahe ber Dorser angetroffen toirb. Den Tag ver-
bringen sie fchlafenb unb in verkehrter Stellung in fo
bichten Reihen aufgehangt, bah ber Unerfahrene sie auf
ben ersten Vlick leichter fur unbekannte Fruchte als fur
lebenbe Thiere nehmen tourde. Am Tage still und betoe-
gungslos, gerathen sie durch zufallige Storung in lacben-
erregende llnordnung, indem ein Thier das andere behin-
bert, alle aber fo fest angehakt sinb, dasi sie ohne Beihilfe
ber Flugel nicht loskommen konnen unb, erfchoffen, an den
Aesten hangen bleiben. Bald nach Sonnenuntergang
verlaffen sie diefe Ruheplatze und fliegen, geleitet von einem
untruglichen Jnstinct, nach den Waldern, Dorfern und
Pflanzungen, too sie unubersehlichen Schaden anrichten,
jede Art von Baumfruchten anfallen und ebenfo toenig
bie geringen Obstforten i nt Garten eines Armen als bie
kostbaren Fruchte um bas Lanbhaus des reichen Pstan-
zers ober einheimifchen Fursten verfchonen. BefonberS
bie letzteren Clasfen ber Lanbbetoohner fuchen burch al-
lerlei Vorrichtnngen, toie burch Netze ober burch Korbe
aus gefpaltenem Bambusrohr, bie reifenben Fruchte zu
sichern unb tourben in der That ohne folche Vorstcht
geringen Ertrag aus ihren Garten empfangen. Nur in
toenigen Gegenden Java's fehlt diefes Thier, von toel-
chent man mit Eintritt der Dammerung zuerst nur ein
Jndivibuum bemerkt, bem aber in ununterbrochener
Reihe unb kleinen Entfernungen anbere folgen. Im
Uebrigen fliegt der Kalong in gerader Linie, ztoar lang-
fant, aber sicher und mit vieler Ausdauer. In den titt-
gentein hellen Mondnachten Java's ist die Jagd auf ihn
ein gelegentliches Vergnugen der Eingebornett unb Co-
lonisten, bie ihn im Augenblicke, tov er auf einen Frucht-
baunt niebersinkt, burch einen Schrotschusi erlegen.
2. Der ffiegende Hund von Amboina. (Pteropus Dussumieri.) Fig. I 14.
Rucken, Bauch, Gestcht unb Kehle braun ; Brust roth-
braun; Seiten bes Halses, Raum ztoischen ben Ohren
unb Schulterhohe fahlrvth. Vaterlanb ber Continent
von Jubien, auch Amboina; Sitten bes Kalong.
11. Harpye. (Harpyia.)
Gattungscharakter: Untere Schneibezahne fehlen;
bie Backenzahne ntit ganz stumpfer Krone.
/1. Die Harpye von den Molucken. (Harpyia cephalotes.) Fig. 115.
Eine ziemlich Hasiliche, auf ben Molucken toohnenbe,
fruchtsreffende Fledermaus, deren Korper 3% Zoll, der
Schtoanz 1 Zoll lang ist; die Flugelto^ite betragt 14 Zoll.
Eine Eigeitthuntlichkeit liegt in ber Anheftung ber Flugel
auf ber Mittellinie bes Ruckens. DerKopf ist ritub, bie
Schnauze breit, bie Oberlippe gefpalten, bie Nafenlocher
ragen rohrenformig einige Linien vor. Das Mannchen
ist oben braungrau, mit einer bunkeln Langsbinde entlang
ber Mittellinie, bie, am Nacken gabelsormig gefpalten, gegen
ben Oberarm verlauft; Wangen unb Unterfeite sinb toeisi-
lich. Die Nahrung foll mehr in Jnfeclen als Fruchten
bestehen.
Zweite Familie. Jnsectenfresfcr.
III. Blattnase. (Phyllostoma.)
Gattungscharakter: Vorderzahne oben und un-
ten 4; Eckzabne sehr grosi, kegelformig; Backenzahne je-
derfeits oben 4—5, unten 5—6. Nafe verlangert, mit
doppeltem Nafenblatte; das vordere Huseisenformig, das
Hintere von Speergestali, aufrecht; Ohren grosi, mit ge-
zahneltem iiinernBlatt(Ohrendecfel); Zunge vorn scharf-
toarzig. .
1. Der Vamppr. (Phyllostoma Spectrum.) Fig. 116.
Geoffroy Hat diefe zu ben Blattnafen bisher gerechnete
Flebermaus 5unt Reprasentanten einer besonberen Gat-
tung, bie er Vampyrus naiinte, getoahlt; ber llnterschieb
ztoischen ben beibeit Gattungen ist jeboch sehr lutbebeu-
tenb, benn bas in Rebe stehenbe Thier toeicht nur burch
Mangel an Schtoanz von ben achten Blattnasen ab unb
Hat aus jeber Seite beS Oberkiefers einen Backenzahn
mehr. Fig. 118. zeigt bie Bilbung ber Vorber- unb Eck-
zahne, Fig. 117. ist bie nach Blainville copirte Abbilbung
bes Skelettes. Diese 5 — 6 Zoll lange, gegen 15 Zoll
in ber Flugeltoeite mefsenbe Flebermaus Hat einen toeichen,
oben kastanienbraunen, unten rothlich-gelben Pelz, einen
ettoas spitzen Kopf unb verlangerte Kinnladen. Lim
Kiniie sitzen ztoei Warzen. Nicht leicht ist uber irgenb
ein Thier bieser Familie gleich Vieles unb Uebertriebenes
geschrieben toorben, als uber biefett beruchtigten Blut-
sauger Amerika's. In Brasilien, wo ber Vampyr ben
Namen Anbira—a?a ober Guanbira tragt, gehort er zu
ben gemeinsten ber einheimischen Flebermause unb ist eben-
sotoohl im einsamen Urwalde, als in einer lebhasten
Lanbstabt anzutreffen. Die alteste Beschreibung ruhrt
von Piso Her. Sie lautet ettoa so : „Diese Flebermause
machen sich an jebe Art von Thieren, tint ihr Blut zu san-
gen; in Maranham komint eine Art vor, bie bes Nachis
bie nackten Fiisie schlafenber Metzschen anbeisit unb bas
Blut saitgi. Der Bih ist so gering unb toirb so vorstchtig
beigebracht, bah bie Vertounbeten nicht eher ettoas mer-
ken, als bis ihr Bett mit Blut bebeckt ist, toelches, in
Menge ausstromenb, nur mit Mnhe, unb ztoar nur bann
gestillt toerben kamt, toenn kraftige Mitlel znr rechten
Zeit angetoenbet toorben sinb. Die Eingeborenen toaschen
berglejchen Wunben mit Seetoasser unb gebranchen gegen
bie Nachblntiing heihe Asche unb selbst gluhenbes Eisen."
— Stebtmamt ertoahnt gleichfalls, basi er gebiffen toor-
ben sei, unb bah biese Flebermause instinetmåhig recht gut
toifsen, toenit ihr Opfer fest eingeschlafen ist. Sie lassen
sich getoohnlich an dem Fusiende itieder, unterhalten da
mit ihren getoaltigen Flugeln eine angenehine Kuhlnng
tind beisien aus ber grosien Zehe ein Stuck vom Untfange
eines Nabelkopfes herans. Durch biese kleine Oeffnung
sangen sie bennoch so viel Blut, bah sie kaitiit fliegen kon-
neit, tourgen es atts, kehren von Neueiit 511111 Sangen zu-
ruet, unb fo foll es gefchehen fein, bah fchon manchet Rei-
fenbe nicht toieber aitsgetoacht ist. Hansthiere beihen sie
getoohnlich in bas Ohr, jeboch an alfen Stellen, wo