Die Marfels'sche Uhren-sammlung
Umfassend Interessante Taschen-Uhren Seit Erfindung Derselben
År: 1888
Forlag: Kühl & Co. Grossherzoglich Hessische Hof-Kunstantstalt
Sted: Frankfurt Am Main
Sider: 121
UDK: st.f.739.3 Mar
In 48 Lichtdruck-Tafeln Nebst Erläuterndem Text
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als die Eiuhren in ihrer Gesammtheit. — Die Form und Benennung der Taschenuhren als
Eier kam, wie es scheint, erst um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts auf.
Eine der ältesten aller in Deutschland und auch anderwärts vorhandenen Taschen-
uhren — aus der Zeit von 1510 bis 1520 — befindet sich in der Sammlung alter Taschen-
uhren im Bayerischen Gewerbemuseum zu Nürnberg.
Diese Uhr ist noch nicht oval oder eiförmig, wie viele Uhren aus der Mitte des
sechszehnten Jahrhunderts (Nürnbergische lebendige Eierlein), sondern vollkommen rund und
so klein, dass ihr Durchmesser nur 2 cm beträgt, während ihre Höhe 1,2 cm ausmacht. Das
Gehäuse aus vergoldetem Messing hat auf jeder Seite einen nur ganz leicht konkaven Deckel
mit ganz primitivem Verschlusse. Jener auf der Rückseite zeigt äusser der Personifikation
der Gerechtigkeit, die in der Rechten die Wage, in der Linken das Schwert hält, innen ein
männliches bartloses Brustbild mit über der Schulter geknüpftem Ueberwurfe, vielleicht das
Brustbild des Phöbus Apollo. Der Deckel der Vorderseite ist durchbrochen und der äussere
Kreis desselben ist mit einem leicht eingeritzten Akanthusblattkranz geschmückt; der innere
Kreis, welcher mit dem äusseren an vier gegenüberliegenden Stellen durch Stege verbunden
ist, trägt ein gravirtes Flechtornament einfachster Art und umschliesst vier im Mittelpunkt
vereinigte Akanthusblätter, die blos mit den Spitzen den umschliessenden Kreis berühren,
dazwischen aber das Zifferblatt sehen lassen. Der ziemlich hohe Raud der Uhr zeigt in der
Mitte einen starken, mit leicht eingeritzten Akanthusblättern gezierten Wulst. Die beiden
Hohlkehlen, welche diesen begrenzen, sind mit vertikalen, nahe auseinanderliegenden Ein-
schnitten geschmückt. Der Verschluss ist, wie schon oben gesagt, sehr primitiver Art, aber
durchdachter, wie an der grössten Zahl der späteren Eiuhren. Durch den Wulst des Randes,
gegenüber dem mit einem Bandornament geschmückten Bügel geht nämlich ein Stück Eisen-
blech, das oben und unten in eine leicht auswärts gebogene Spitze endigt. Beide Spitzen
ragen etwas über <len Rand der Uhr empor. An der betreffenden Stelle ist nun jeder Deckel
mit einem vorspringenden dreieckigen Schildchen versehen, das an der Basis einen Querschnitt
hat, um die mit dem Finger etwas angedrückte Spitze des Eisenbleches durchzulassen.
Durch den durchbrochenen Deckel hindurch sieht man schon theilweise das mit dem
Gehäuse verbundene Zifferblatt aus vergoldetem Messing. Oeffnet man den Deckel, dann
zeigt sich in der Mitte das strahlenumgebene Antlitz der Sonne. Um dasselbe geht zunächst
ein Viertelstundenkreis herum, da die Uhr nur einen, nämlich den Stundenzeiger besitzt. Die
Meinen, länglich viereckigen Felder, welche die Viertelstunden markiren, sind abwechselnd
blank und schattirt mit schiefen Strichen. Ein weiterer Kreis zeigt ziemlich tief gravirt die
römischen Stundenzahlen von I bis XII. Ueber jeder Zahl befindet sich ein kleiner Knopf,
wovon der über der Zahl XII mit einem kleinen Stachel versehen ist. Diese Einrichtung
sollte das Finden der ungefähren Zeit auch bei Nacht ermöglichen; denn damals war das
Lichtmachen noch keine so leichte Sache wie heutzutage, wo uns die Zündhölzer zur Ver-
fügung stehen. Wollte die Besitzerin der Uhr — einer Dame hat dieselbe ohne Zweifel einst
gehört, — bei Nacht einmal wissen, welche Zeit es sei, dann nahm sie ihre Uhr zur Hand,
suchte mit dem Zeigefinger auf dem Zifferblatt den Stachelknöpf über der Zahl XII und
tastete von da vorsichtig und jeden folgenden Knopf zählend weiter, bis sie zur Spitze des
Zeigers kam. Auf diese Weise konnte sie die Zeit bequem bis auf eine Viertelstunde finden.
Freilich müssen die tastenden Finger mit besonderer Feinfühligkeit begabt gewesen sein.
Interessanter noch ist das Werk selbst, das ganz aus Eisen besteht, sogar die
beiden Platinen nicht ausgenommen. Sagt uns doch Cocleus im Jahre 1511, dass die Taschen-
uhren des Peter Henlein aus wenig Eisen gefertigt gewesen seien. Der ganze Bau des
Werkes bestätigt es vollständig, dass die Uhr in der angegebenen Zeit verfertigt sein muss.
Die Feder liegt noch nicht in einer Trommel, sondern sie bewegt sich hier um die
Welle des Federrades und sind im Kreise um dasselbe vier aufrecht stehende Stifte einge-
bohrt, an welche sich die Feder in ihrem ruhenden Zustande anlehnt. Diese Vorrichtung zur
Einschränkung der sich ausdehnenden Feder muss unmittelbar auf die Erfindung der Taschen-
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uhr gefolgt sein; sie bildet den ältesten Vorläufer der Trommel. Ausser dem Federrade sind
noch vier Räder vorhanden: ein Beisatzrad, ein Bodenrad, ein Kronrad und ein Steigrad.
Letzteres greift in eine sehr lange Spindel, welche die Hemmung bildet. Die runde, nur
zweischenkliche Unruhe ist so klein, dass ihr Durchmesser kaum die Hälfte der Spindellänge
beträgt. Eine Spiralfeder ist selbstverständlich nicht vorhanden; denn diese wurde erst im
Jahre 1658 von Robert Hooke erfunden. Statt der Spirale sind an unserer Uhr an einem
verschiebbaren Hebel kleine Schweinsborsten aufrecht stehend eingesetzt. An diese Borsten
schlägt die Unruhe bei ihrer Hin- und Herbewegung an und durch Verschiebung des Hebels
konnte der Gang etwas regulirt werden, indem die Unruhe mit ihren zwei Schenkeln ent-
weder ferner von ihrem Mittelpunkt oder näher bei demselben die Schweinsborsten berührte.
Auf diese Weise wurde ein langsamerer oder schnellerer Gang bewirkt. Dass diese Re-
gulirung eine sehr unsicher wirkende war, liegt auf der Hand. Gleichwohl aber waren diese
Schweinsborsten die Vorgänger der Spirale, welche gegenwärtig die Seele der Uhr ge-
nannt wird.
Die in Rede stehende Uhr zeigt auch den frühesten Versuch zur Regulirung der
Zugfederkraft. Auf der hinteren oder oberen Platine sitzt auf der Welle des Federrades ein
Trieb, welches in ein Stellungsrad eingreift und verhindert, dass die Zugfeder der Uhr un-
verhältnissmässig angespannt werde. Auf diesem Stellungsrade ist ferner eine Scheibe be-
festigt, auf deren Peripherie eine Hohlkehle eingedreht ist. Eine starke, im Halbkreis ge-
bogene Feder, au deren Ende eine kleine Rolle sitzt, drückt diese auf die erwähnte Scheibe,
damit sie in die Hohlkehle eingreift und gleich einer Bremse hemmend auf den Zug der
Feder wirkt. Durch unrichtige Verhältnisse von Rädern und Trieben war es nämlich ge-
boten, eine starke Feder in Anwendung zu bringen; die Bremse sollte die Unregelmässig-
keiten, die sich hieraus ergaben, ausgleichen, d. h. einen gleichmässigen Kraftverbrauch der
Feder bewirken. So suchte man sich damals, wo noch keine Schnecke und Kette erfunden
war, zu helfen.
Die Uhr geht ungefähr 12 Stunden nach einem Aufzug und die Unruhe macht in
einer Stunde 22 000 Schwingungen. Da die Uhr trotz der angebrachten Bremse zu schnell
gegangen zu sein scheint, so ist der Ring der Unruhe, wahrscheinlich noch von dem Ver-
fertiger selbst, etwas mit Blei beschwert worden.
Die statt des Federhauses um das Federrad gesetzten vier Stifte, die Schweins-
borsten statt der stählernen Spiralfeder, das durchweg eiserne Werk und überhaupt die ganze
Anlage derUhr ebenso wie die dekorative Aus- _____ stattung beweisen, dass dieselbe zu den aller-
frühesten Taschenuhren gehört. Auf der Rückseite des Werkes befindet sich in einem
Schildchen beistehend abgebildete Marke \0^/ eingestempelt; zwei abwärts gekehrte und
ins Andreaskreuz gestellte Grabscheite mit den Buchstaben H. G. — es war dies
die Hausmarke des Uhrmachers Hans Gruber zu Nürnberg.
Genau die gleiche, nur etwas grössere Marke trägt eine Uhr der reichen Sammlung
des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Die betreffende Uhr ist aber bedeutend
grösser als die eben besprochene; denn sie ist eine sog. „Satteluhr“ (Reiseuhr). Auch hat
sie bereits messingene Platinen und ist überhaupt weit besser gearbeitet als die obige Uhr,
woraus hervorgeht, dass sie auch jünger ist und zwar, wenn die besprochene kleine Uhr in
die Zeit von 1510 bis 1520 angesetzt werden muss, die letztere Uhr in die Zeit von 1550
bis 1560 fällt.
Soviel über die Erfindung der Taschenuhren und die älteste bekannte Taschenuhr.