Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 1008
Badeniche 9ubilflums=liandes-fluskellung 1906
Nr. 40
Hierauf hommt die Blute und dann wird derselbe, bei Fruh-
flachs im Iuni - bei Spatslachs im August, so bald er eine
gelbe Farbe annimmt — gerauft, in Kapellen aufgestellt
und getrocknet- ist er vollstandig trocken, so wird in der
Scheune oder am Felde durch Riffeln, Rollen usw. der Samen
gervonnen. Dann wird der Flachs zum Rosten ausgebreitet
und hommt spater ins Brechhaus, wo derselbe gedorrt und
verarbeitet wird. Beim Flachsbrechen bestehen in Bayern
Haufig noch alte, Hochsl originelle Sitten und Gebrauche,
well diese Rrbeiten gerneinsam vom ganzen Dorf in einem
Brechhause ausgefuhrt werden. 3n der Rosenheimer Gegend
existiert seit uralten 3eiten noch eine Flachsbrecherzunft,
deren Taligkeil auf das genaueste geregelt ist.
3m Brechhaus wurde der Flachs von den Hvlz-
teilchen nicht.vollstandig befreit, weshalb er zu zuhause
auf den Schwingmaschinen nachgeputzt wird. Dieser Schroing-
flachs wird dann unter den Ramen Brechflachs verkauft
oder fur den Hausgebrauch auf der Hechel gehechelt. Das
Hecheln ist muhevoll und zeitraubend und geschieht dies
auf einem mit (tarhem Stahlzinken verfehenen Holzpfiock.
Ls werden dabei 3 Sorten gewonnen: 1. Hechelflachs,
2. das Leinwerg, 3. das Werg. Viefe werden dann ge-
sponnen und zu feiner, derberer und ganz grober Leinwand
weiter verarbeitet.
Die Spinnrader in der Holzindustrie-Rbteilung der
Forstausslellung geben von dieser Tatigkeit Zeugnis. (Es
existieren z. B. in Gberbayern hente noch Spinnrader, auf
welchen 2 Faden zu gleicher Seit mit beiden Hånden ge-
sponnen werden. Die Spinnerinnen halten heute noch gar
viel auf schone Spinnrader nnd Knnstvoll gedrechselte Rader
wnrden frnher tener bezahlt. 3n Pang wohnte vor ca.
100 3ahren der bernhmteste Spinnraddrechsler Bayerns,
der in groher Rchlung gestanden war. 3n der Rirche
Heiligenblul bei Rosenheim ist an der Westseile eine schone
Marmortafel mit der 3nnschrift eingemanert:
„Dem Undenken des achtbaren 3iingtings
Georg Gbermayer,
Bauersjolm zu Rucht bei happing.
Er war blind dem Leibe nach, aber sein Geist sah Klar;
Lr errettete dies Dottesi>aus vor der 3erjtorung.
Die dankbaren Demeinden happing und Heiligenblut."
Sur 3eit der Sakularisalion wurde diese Rirche ge-
schlossen und sollte 1807 auf Rbbruch verkauft werden.
Voll Beslurzung uber diese Rachricht machte sich der blinde
Gbermayer mit einem Kunstlerisch Hergestellten Spinnrad
auf und ging nach Munchen. Dart lieh er es der Ronigin
Rarolina ubergeben. Der Ronig Max lieh den Blinden gleich
rufen und befahl ihm, fein Spinnrad znsammenznsetzen.
Der Ronig fragte ihn, mas er verlange. Gbermayer sagte:
„3ch bitte um nichts anderes, als dah die Rirche zum
„Hellig Blut" nicht abgebrochen roird." Der Ronig sagte
ihm diese Bitte zu und Gbermayer Kehrte reichlich beschenkt
und hochbegluckt in seine Heimat zuruck. Dieses Spinnrad
ist Hente noch im Rationalmnsenm zn Munchen aufgestellt.
Das Flachsspinnen hat hente schon auf dem Lande
bedenklich nachgelassen und man findet bereits schon roeib-
liche Dienstboten, die die Flachsarbeit garnicht Kennen und
die Rrbeit nicht mehr gelernt haben. Trotzdem besteht
aber noch haufig die Sitte, dah die Banerntochter bei ihrer
Verheiratung aus dem Tlternhaus einen mit selbstgemachtem
Linnen gefullten Schrank, roie man selben in der Gruppe
der Bekleidnngsindustrie in Rr. 362 als Rusjteuer sehen
Kann, in die The mitbringen. Heute ronrde das Spinnrad
bereits verdrangt und an dessen Stelle sind die Spindel
der Rammgarnspinnereien, die mechanischen Websluhle usro.
getreten, so dah sich die (Erzengungskosten sehr verbilligen.
Ts ronrde schon erroahnt, dah die Waafner Flachse
feine Gespinnste abgaben und sich in Belgien znr Herstellung
der teneren Brabanter- nnd Rlenyonspitzen vollkommen
eigneten. Das Pfund ronrde auf den damaligen Markten
mit 1 Mark und darnber bezahlt, roahrend man jetzt
Hochstens 50—60 Pfg. bekommt. Man veranstaltete Flachs-
markte und Garnmarkte. Der Rosenheimer Flachs- und
Garnmarkt spielte in den 60er und 70er 3ahren des vorigen
3ahrhunderts eine grohe Rolle; es Kamen schroabische und
auslandische handler direkt in den Grt und Kauften den Flachs
ans den Brechhansern. Der starke Preisruckgang ist die
Rrsache des stelen Ru&ganges im Flachsban. Die voltige
Rufgabe des Flachsbaues roird fpeziell in den Viehzucht-
gegenden nicht eintreten, roeil man den Leinfamen znr
llnfzucht des 3nngviehs mit Recht fur ganz unentbehrlich
noch halt. Rus dem Leinfamen roird auch das Leinol ge-
roonnen, das ein vorzugliches Rahrungsmittel das ganze
3ahr in den armeren Gebirgstalern bildet. Das altere
Leinol roird auch zu Belenchtnngszroecken verroendet, da
es in den zusammengebauten Bauernhansern des Gebirges
roeit billiger als das Petroleum und dann anherdem nicht
so fenergefahrlich ist.
Die Hentige Flachsverarbeitnng im Kleinen rentiert
sich nicht mehr, denn an Stelle der Spinnrader und Hand-
roebslnhle, die Maschinenspinnerei und Weberei getreten
sind, die nicht nur billiger arbeiten, sondern auch roeil
bessere Produkle Herslellen. Die Flachskullur rentiert sich
aber doch noch sehr gut, da ja die bayerischen Spinnereien
jhren Bedarf vom Rusland, besonders von Ruhland be-
ziehen mussen. Gegenroartig roerden nach Deulschland ca.
70000 1 (— 20 3enlner) Flachs, 60 000 t Hanf und 30 000 1
Werg vom Rusland eingefuhrl.
(Es bleibl den Flachsbauern nichts anderes ubrig als
Flachs zum Verkouf an die Fabriken anzubauen und den
Leinsamen fur die 3ungviehaufzucht zu geroinnen. Ratur«
lid)lahl der grohe Rrbeilermangel, die Dienftbotennot auf
dem flachen Lande eine Rusdehnung des Flachsbaues
Kaum mehr zu, roenn die Preise fur Brechflachs unter
40 Mk. herabgehen. Die Handarbeit ist gegenroartig zu
teuer, an Maschinen in der Flachskullur, die das Raufen rc.
beroerkslelligen, mangeil es noch, obzroar die Deutsche Land-
roirtschaftsgesellschafl-Berlin einen Preis von 5000 Mk. fur
diese (Erfindung schon seil 3ahren ausgesetzl Hal.
Doch roo gunstigere Verhaltnisse sind, roerden von den
berufenen Grganen stels die entsprechenden Rnregungen
und Rufklarungen gegeben, so dah es nicht unroahrscheinlich
ist, dah dem Flachsbau in mancher Gegend eine bessere
3ukunfl gegeben ist.