Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 120
Boyerifche Subildums - bondes = HustteHung 1906
Nr. 6
Gerste von MK. 11.32 auf MK. 14.80, der haber von
MK. 10.42 aus MK. 15.98. flls Psarrer Naumann vor
Kurzem die Suddeutschen Monatshefte einleitete, hat wohl
mancher Leser zuerst aus seinem flrtikel uberrascht und Halb
unglaubig vernommen, dah ganz Snddentschland ein ge-
wisses Recht håbe, neidisch zu sein, roenn es seiner Natur-
guter gedenke. In der Tat hat unter dem Zeichen des
Verkehrs und der Industrie eine fur Bagern ungunstige
Umwertung der Werte stattgefunden: Kof)le und Tisen
haben den Rang erobert, den vordem unter den Schatzen
der Natur das Korn behauptete. Von der Steinkohlen-
produktion des Deutschen Reiches fallt aber auf Bayern
nur ein Neunzigstel: 1904 1,3 Millionen Tonnen unter
120,6 Millionen Tonnen Steinkohlen,-von Braunkohlen
gar nur 520000 Tonnen von 48,5 Millionen Tonnen im
Deutschen Reich - so dah Bayern gezwungen ist, seinen
Kohlenbedars meist aus dem Ruslande zu beziehen (die
Braunkohlen uberwiegend aus Bohmen, die Steinkohlen
aus dem Ruhrgebiet) und sich, was diesen wichtigen Handels-
artikel betrifft, in druckender wirtschaftlicher Rbhangigkeit
besindet. Und wenn schon Montgelas die „verwunschte" geo-
graphische Lage Bayerns beklagte, sind im Zeitalter des
Verkehrs die Ubelstande, die diese Ungunst bedingen: die
weite Tntfernung vom Meere und der Mangel an schiffbaren
Flnssen, noch viel schlimmer wirkende Faktoren geworden.
Diese Erwagungen lassen die Bedeutung des Rnteils,
den Bayern trotz alledem an dem grohartigen materiellen
Rufschwunge genommen hat, um so gewichtiger Hervor-
springen. Im Beginne des 19. Jahrhunderts waren die
furchtbaren Munden, die der 30juhrige Krieg dem Wohl-
stand aller Stande und besonders den Gewerben geschlagen
hatte, noch nicht vollig geheilt, zumal sie durch die feind-
lichen Invasionen unter Max Emanuel und Karl Rlbrecht
neu ausgerissen worden waren. Dazu hinderten der 3opf
und Zwang des Zunftwesens und die ungstliche Bevor-
mundung des Staates jede sreie Bewegung. Wie ties die
Gewerbe darniederlagen, erhellt schon daraus, dah die Sahl
der Meister die der Gesellen und Lehrjungen zusammen
uberstieg. 1792 zahlte man in den vier altbayerischen Rent-
amtern 40765 Meister mit nur 26 107 Gesellen und 6 891
Lehrjungen und Nebenarbeitern. Montgelas legte zuerst
eine Bresche in die Selbstherrlichkeit der Sunfte, indem er
(1804) den Gemerbebetrieb auch aus Grund staatlicher
Konzession ermoglichte. Fur einen Rufschwung des Handels
waren die Herstellung des freien Verkehrs im Innern (ab
1. Ianuar 1808) und die Rufhebung des Weggeldes 1828
Vorbedingungen. 1825 wurden Gesetze liberaler Tendenz uber
Heimat, finsassigmachung, Verehelichung und uber das Ge-
werbewesen erlassen. fiber die Furcht vor llbervolkerung,
in fruheren Iahrhunderten die wirksamste Triebseder fur
die Sozialpolitik der Regierung, machte sich neuerdings
geltend und ries einen Ruckschlag Hervor. „Damit nicht das
stete Rnwachsen einer aus nichts angewiesenen Bevolkerung
ohne Besitz und Eigentum kunstlich besordert werde",
wurden 1834 Niederlassung und Eheschliehung erschwert
und 1853 errang auch in der Gewerbegesetzgebung eine
rucklaufige Tendenz den Sieg. Vie Folgen aller dieser
Mahregeln, die der Entwicklung auch auf sozialem und
wirtschastlichem Gebiete den tvellencharakter aufpragen,
waren Stillstand und teilweiser Ruckgang der Gewerbe in
den vierziger und funfziger Jahren. Seit 1861 drang
der Nurnberger fibgeordnete Brater in der Kammer auf
Gewerbesreiheit und seiner Energie und Beharrlichkeit ist
es vornehmlich zu danken, dah uns diese wichtige Errungen-
schaft 1868 beschert wurde. Dazu Kamen die underen
liberulen Soziulgesetze dieser Seit, dus Werk unseres Hoch-
verdienten sputeren Finunzministers Freiherrn v. Riedel,
wodurch dus Recht der Verehelichung von druckenden
Schrunken befreit und die sreie Ivuhl des Rufenthultes
gewahrleistet wurde. Und nun wirkten Zollverein, Gewerbe-
freiheit und Erleichterung der finsassigmachung, technische
Erfindungen, die politische Einigung der Nution und die
franzosischen Milliurden zusummen, um eine ungeahnte Blute
der Volkswirtschuft heruufzufuhren. fin die fieberhufte
Tutigkeit einer ins Riesenhufte wuchsenden Industrie reihte
sich eine Keine Schrunken Kennende Unternehmungslust des
hundels. Volkszuhl und Wohlstand stiegen in gleicher
Weise. 1816 Hutte Buyern 3607 000 Einwohner, 1900:
6176000. Vas truurige Erbubel der schwabisch-bayerischen
hochebene, die hohe Kindersterblichkeit, gelingt es wenigstens
lungsum zu vermindern. Jn dem Iuhrzehnt von 1893—1902
ist die Kindersterblichkeit im ganzen Konigreiche von 26,9
vom hundert der Lebendgeborenen aus 23,3 vom Hundert
gesunken. fim erstaunlichsten ist der fiufschwung der grohen
Stadte in Volkszuhl und Reichtum. Nurnberg Hutte 1821:
23 491 Einwohner, 1875: 91 000, hente zahlt es cu. 280000.
fiugsburg 1818: 29 809 Einwohner, 1900: 89 170.
Munchen, das vor hundert Iahren zwischen 40 und 50000
Seelen zahlte, hat hente ca. 530000. Was wurde dazu
unser guter alter Westenrieder sagen, der schon Wehe ries,
weil Mnnchen die enorme Sahl von 36 000 Einwohnern
erreicht hatte! In der Pfalz erlebten wir das Rusbluhen
einer Stadt, das an amerikanische Verhaltnisse erinnert:
aus der Rheinschanze vor Mannheim ist in fnnszig Iahren
ein hasen-, Industrie- und handelsplatz mit 71 000 Seelen
erstanden, dessen Schisfsverkehr von 1850-1870 im Ver-
Haltnis von 1:76 und von da bis 1900 wie 1:12 ge-
wachsen ist und im Gesamtverkehr aller deutschen Rhein-
Hafen Hente an funfter Stelle steht.
1827 begann die Vampfschiffahrt auf dem Rhein.
Im selben Iuhre fnhr das erste Vampsboot auf dem Boden-
see, wo ein erster Versuch 1817 gescheitert war. Ietzt Haben
die Wasserstruhen des Deutschen Reiches eine Lange von
etwa 10 000 Kilometern und der Verkehr aus ihnen Hat
sich im letzten Viertel des 19. Iahrhnnderts nahezn ver-
vierfacht. Das Vrangen unserer Kanalpolitiker auf die
Eroffnung nener Wasserstruhen in Bayern ist begreiflich.
Venn der Ludwigs - Vonau - Mainkanal Hat die auf ihn
gesetzten Erwartungen nicht erfullt. Vie erste Eisenbahn
in Veutschland wurde 1835 in der Nurnberg-Further Lokal-
bahn eroffnet. fiber wenn Bayern mit dem Ban einer
Eisenbahn voranging, vollzog sich doch hier die finsdehnnng
des Eisenbahnnetzes geruume Seit langsam, um dunn freilich
um so gewaltigere Dimensionen anzunehmen. Was man