Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 388
BayeriFche Subildums-Landes-HusIfellung 1906
Nr. 18
eines Kunstliebenden Klosterbrubers" die Schonheit Nurnbergs
in den Hochsten Tonen pries, wie sehr man damals schon
die Schonheit alter deutscher Kunst empsand. Ls Heifft da:
„Der himmel hat seine Gaben unter die groven Kunstler
der Lrde so vertheilet, bah wir durchaus genothiget roerden,
vor einem jeglichen stille zu stehen, und jeglichem seinen
fiiitheil unsrer Verehrung zu opfern.
Nicht bloh unter italienischem himmel, unter majestatischen
Kuppeln und korinthischen Sdulen; - auch unter Spitz-
gewolben, Krausverzierten Gebauden und gothischen Turmen,
wachst wahre Kunst hervor."
fiber in Wirklichkeit beherrschte der Geist der flntike
noch lange unser Kunstlerisches Leben und als dann die
Tage der Romantik Kamen und die mittelalterliche Kunst
auf den Schilb erhoben, da hielt man sich doch mehr an deren
Kuherlichkeiten, als bah es einem gelungen ware, ihren
Kunstweisen wieder neues Leben zu geben. Man ledte
in dem Wahne, dah dieses moglich sei und dieser Ivahn
ist bezeichnend sur das ganze architektonische und Kunst-
gewerbliche Schaffen des 19. Iahrhunberts, nur
dah man nicht bei der Gotik stehen blieb, die anfanglich
der flntike allein gegenubergestellt rourde, sondern zu dieser
den romanischen Stil treten lieh, dann zur italienischen und
deutschen Renaissanee Kam und nach und nach auch die
ansangs als barbarisch verschrieenen Stile der spateren
Iahrhunberte, sowie auslandische Kunstweisen zur Geltung
brachte. Die alte Kunst roar gleichsam eine grohe Vorrats-
kammer, aus der sich jeder fur seine Kunstlerischen Zroecke
herausholte, roas er brauchte. Wie einst Griechenland und
Rom, so muhten nun auch Nurnberg und andre deutsche
Kunststatten grundlich herhalten und man nannte das, roas
bei dieser Schaffensroeise herauskam, altdeutschen Stil,
fiber in Wirklichkeit roar es Kein Stil, sondern nur ein
schroacher und meist unkunstlerischer Reslex von Kunstlerischen
Weifen, die vor Feiten einmal stilvoll, d. H. der Kunstlerische
flusdruck ihres Feitalters geroesen roaren. Trst als man
aushorte, sich an diese anheren Formen zu Klammern und
sich an die ihrer Gestaltung zugrunde liegenden Bilbnngs-
prinzipien hielt, Kam roieder Stil, d. H. Kunstlerischer
Tharakter in unser Schaffen. Damit ist der Begriff der
Vorbildlichkeit der alten Kunst ein andrer geroorden. (Es
genugt jetzt nicht, sich ihre Formen einzupragen, um sie
mit Historischer Treue zu roiederholen, sondern es Kommt
darauf an, sich von der Schaffensroeise der flltmeister
anzueignen, roas fur alle Felten die glelche Bedeutung Hat.
Dazu Kommen rolr aber nur durch danernden Umgang
mit der alten Kunst. Keine theoretischen Erorterungen
helfen hier, sondern nur von der Kunst selbst kann Hier
der Kunstler die Iveisungen empfangen. Und roie viel Hat
da eine Stadt roie Nurnberg unsern Kunstlern zu sagen!
fluf tausend Fragen roird sie die rechte flntroort geben,
freilich nur dem, der die Sprache der Kunst versteht, so roie
nur ein Siegfried die Sprache der Walbvbgel verstand.
Ts muh ein roahrer hochgenuh fur einen modern, d. H.
aus der Fulle der Kraft sachgemah und zugleich mit
personlicher Tigenart schaffenden Baumelster roie etroa
Theodor Fischer sein, durch das alte Nurnberg zu roandern,
zu beobachten, roie sich die flltmeister in den einzelnen
Fallen mit den ihnen gestellten flufgaben abfanden, dabei
festzustellen, roie die Erroagungen, die er selbst in ahnlichen
Fallen angestellt hat, auch jene leiteten und zugleich die
Fulle uberraschender Losungen zu beroundern, zu denen
eln uber die Uberlegung hinausgehender glucklicher Instinkt
ihnen verhalf. fiber nicht nur den phantaslevollen Kunstler,
den der Schbnheltszauber der Stadt bannt, muh eln solcher
Gang durch Nurnberg im hochsten Mahe befrlebigen. Das
glelche glit auch von dem die Dinge nach ihrer Nutzlichkelt
roertenden Praktiker, benn uberall erkennt er, dah die
schbnen Strahenbilder und Hausergruppierungen nicht aus
asthetischen flbsichten Hervorgegangen sind, sondern dah
das Gekrumme der Strahen und das Geroinkel der Hauser
und all die Uberschneidungen von Dachern, Turmen und
Turmchen das ungeroollte und ungesuchte Trgebnls einer
von Zroeckmahigkeltsgrunben und praktischen (Erroagungen
geleiteten Bauroeise ist. Wie bei schbnen Naturgebllden, so
erschelnt auch Hier, roas rolr als Naturschbnhelt empfinben,
nicht als eine auherliche Zutat, sonbern als bas unge-
zroungene unb naturllche (Enbergebnis eines organischen
Prozesses, bel ber bas kunstlerische (Empfinben mehr als
Nnberouhtes mltgeroirkt Hat.
Viele Iahrhunberte haben an Nurnberg gebaut, jebes
in feiner Welfe, unb boch macht ble alte Stabt, roeil eben
bei aller formalen Verschlebenhelt aus allem, roas bis an
ble Wenbe bes 18. Iahrhunberts entftanb, ber Geist ber
echten Kunst zu uns rebet, einen burchaus einheitlichen
Linbruck. In uberzeugenber Weise rolrb uns im alten
Nurnberg ber Satz eingepragt, bah alles aus valler unb
roarmer Kunstlerischer (Empfinbung Geborene miteinanber
harmoniert, mag es auch burch ble grohten Zeltraume
von einanber getrennt sein unb beshalb bie grohten
Verschiebenheiten in Form unb Tharakter aufroelsen. Wie
von ber Stabt im ganzen, so gilt bies auch von ben-
jenigen ihrer Bauroerke, an benen, roie z. B. an ber Burg,
bie Iahrhunberte gebaut Haben.
(Sorife^ung solgt.)