Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seife 44
Bayerifche 3ubHflums»handes »flusHenung 1006
Nr. S
der Streitigkeiten uber die Zugehorigkeit zum Hand-
werk oder zur Fabrik verlangte. Seitdem ist die Frage
wiederholt im Reichstage sowie auch in zahlreichen
Landesparlamenten eingehend erortert worden. Von
Vertretern der Reichsregierung ist neuerdings erklårt
worden, da6 bei nåchster Gelegenheit Qesetzesvor-
schlåge nach dieser Richtung hin zu erwarten sein duriten.
Der preuBische Minister fur Handel und Gewerbe
hat kurzlich in einetn ErlaB die Ansicht vertreten, dali
fur die Zuweisung eines Betriebes zur Zwangsinnung
oder Handwerkskammer nicht allein sein Omfang das
entseheidende Merkmal bilden soll, sondern die ganzen
Betriebsverhåltnisse berucksichHgt werden mussen. In
einem anderen ErlaB bringt der Minister zum Aus-
druck, daB die Zugehorigkeit eines Betriebes zur
Handelskammer-Organisation im allgemeinen von der
Eintragung ins Handelsregister abhangig ist. „Nach
den maBgebenden Bestimmungen des Handelsgesetz-
buches sind Handwerksbetriebe von der Eintragung
jns Handelsregister ausgeschlossen. Insoweit solche
Betriebe die Bearbeitung und Verarbeitung von Waren
fur andere oder die Geschåfte einer Druckerei zum
Gegenstande haben, gelten sie — bei handwerks-
maBigem Umfange — nach § 1 Abs. 2 Ziff. 2 und 9
des Handelsgesetzbuches uberhaupt nicht als Handels-
gewerbe. Gewerbe ferner, in denen von dem Onter-
nehmer angeschaffte Waren be- oder verarbeitet werden,
sind zwar stets Handelsgewerbe, doch unterliegen sie
nach § 4 ebenda, sofern sie von Handwerkern betrieben
werden, nicht den Vorschriften uber die Firmen, mithin
auch nicht der Eintragung ins Handelsregister. Fur
die Kaufmanns-Eigenschaft aus § 2 des Handelsgesetz-
buches endlich ist Voraussetzung, daB das Unter-
nehmen einen kaufmannisch eingerichteten Geschafts-
betrieb erfordert, und auBerdem die Firma des Unter-
nehmers in das Handelsregister eingetragen ist. Dieser
zweiten Voraussetzung kann aber ein handwerks-
maBiger Betrieb nicht genugen, eben well nach § 4
die Vorschriften uber Firmen auf Handwerker keine
Anwendung finden."
Aus diesen EntschlieBungen geht unzweideutig
hervor, daB Handwerker von der pflichtmaBigen Ein-
tragung ins Handelsregister und demzufolge von der
Einbeziehung in die Handelskammer ausgeschlossen
sind. Die freiwillige Eintragung ist selbstverstandlich
nach wie vor gestattet. In solchen Fallen ist auch
eine Doppelbesteuerung unvermeidlich. Bezuglich der
Auffassung uber die handwerksmaBige Natur eines
Betriebes wird darauf hingewiesen, daB fur die Aus-
legung sein Omfang nicht das allein entseheidende
Merkmal ist, sondern die ganzen Betriebsverhåltnisse
berucksichtigt werden mussen. Neuerdings sind auch
zahlreiche Entscheidungen von Oberlandesgerichten etc.
ergangen, die denselben Standpunkt einnehmen. Die
Frage, welche Betriebe der Handelskammer-Organisation
angehoren, kann danach wohl als gelost betrachtet
werden und durfte wohl nur noch in seltenen Fallen
Grund zum Interpretieren bieten.
Viel schwieriger ist es dagegen, das Merkmal der
Zugehorigkeit zum Handwerk festzustellen. Eine
Definition der Begriffe „Handwerk" und „Handwerker"
gibt das Gesetz nicht. Die Frage, ob ein handwerks-
maBiger Betrieb vorliegt, soll nach den Motiven (1895/97
S. 64) unter Berucksichtigung der Omstande des Einzel-
fålles entschieden werden. (Als Anhaltspunkte fur die
Beurteilung sollen im Anschlusse an die Rechtsprechung
des Reichsgerichts namentlich folgende Merkmale
dienen: die GroBe und Ausdehnung der vorhandenen
Råumlichkeiten; der Omfang und Wert der hergestellten
Jahresmenge; die Art der Arbeitsteilung und die mehr
mechanische oder mehr kunstgemaBe Mitwirkung der
Arbeiter; die mehr oder minder umfassende Verwendung
von Arbeitsmaschinen, die Herstellung der Gegenstande
auf Bestellung und zum Einzelverkauf oder auf Vorrat
oder zum Massenabsatz (auch Halbfabrikate); der
Gharakter des Betriebes als Hilfsbetrieb der Maschinen-
und GroBindustrie, namentlich die Anfertigung von
Spezialitåten; die personliche Beteiligung des Betriebs-
unternehmers an der Herstellung der Gegenstande
oder die Beschrankung seiner Tåtigkeit auf die kauf-
mannische Leitung des Onternehmens; die handwerks-
maBige Ausbildung von Eehrlingen und die Be-
schaftigung jugendlicher Arbeiter.
Die neueren Entscheidungen der Gerichte und
der Verwaltungsbehorden fuhren durchweg diese
Kriterien an, aber nicht im Zusammenhange, sondern je
nach den Charaktereigenschaften des Betriebes einzeln
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb als Hahd-
werk oder Fabrik anzusehen ist, muB zunachst Art und
Charakterdesselben festgestelltundsodann gepruft werden,
welche geschichtliche Entwickelung der Betrieb durchzu-
machen hatte. Danach konnen die obigen Kennzeichen
als Richtungslinien angenommen werden. Eine genaue
Prufung dieser Merkmale ist in jedem Falle notwendig.
Die Arbeitsmethode in einem Fabrikbetriebe ist
eine rein mechanische und beruht auf der umfang-
reichen Verwendung von Arbeitsmaschinen bei weit-
gehender Arbeitsteilung. Der Fabrikarbeiter sieht das
Arbeitsstuck nur in einem gewissen Entwickelungs-
stadium und hat es mit immer gleichen Handgriffen zu
bearbeiten. Sein Arbeitsplan ist nur eine Durchgangs-
station fur das Fabrikat.
In einem handwerksmaBigen Betriebe bleibt das
Arbeitsstuck vom Beginn der Bearbeitung an bis zur
endgultigen Fertigstellung meist in derselben Hand.
Charakteristisch ist in den meisten Fallen die Verwen-
dung oder Nichtverwendung von Kraftmaschinen.
Allerdings gibt es auch Fabrikbetriebe, in welchen
weder Kraft- noch Arbeitsmaschinen benutzt werden.
So hat z. B. ein Reichsgerichtsurteil ein Damen-
Konfektionsgeschaft ohne jede elementåre Betriebskraft
auf Grund anderer Merkmale als Fabrikbetrieb bezeichnet.
(SchluB folgt.)
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