Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 674
Bayerifche 3ubildums - Landes - HusHellung 1906
Ilr. 30
rosen eine Riesenschlange von einem Rranz; haum roaren
sie sertig, haum ranhte sich das Runstroerh ihrer Schroimm-
slossenfinger durch das Rstroerh der toten Lichen, da roar
auch das Wetter schon da. Und nun sitzen sie oben auf
dem Strunh und lachen in roilder Lust dem ersten Stoh
des Sturmes, der die schreienden Moroen durcheinander-
taumeln latzt, dem ersten Wetterschlag entgegen. - Wenn
einem freundliche Fruhlingslandschaften mit Schmalzblum-
lein, Lhrenpreis und Matzliebchen zusagender sind als der
tabende Wirrroarr der entfesselten Naturhraste, so ist es
sein gutes Recht; aber man denhe an geroisse Sugend-
gedichte Doelhes, da roird man finden, datz auch er Sturm
und Unroetter als schon empfand und auf seine Weise ver-
Herrlichte - sollte der Maler nicht das Recht haben, es
ebenso halten zu durfen? Freilich steckt in dem Bilde ein
geroisser Symbolismus, aber seibst roenn man nicht soroeit
geht roie G. Wilde, der alle Runst symbolisch nennt, ein
Vorrours roie hier ist beinahe auf symbolische Behandlung
angeroiesen und roenn dabei alles Spielerische, Der-
schroommene, Gehunstelle ferngehalten rourde, roie es
Eichler verstand, dann roird sich jede Rsthetih zufrieden
geben hannen. Die Einheitlichheit des Bildes ist ja eine
vollhommene, nichts, roas nicht unmittelbar dem Degen-
stande diente. Wer aber in seinem lieblichen Gemute
Nixen und verroandte Deschopse sich nur als blonde Rpl}ro=
diten und galdhaarhammende Lareleien vorstellen hann,
der mage sich erinnern, datz es sich Hier lediglich um Ge-
stalten der frei erfindenden hunstlerischen Phantasie Handeit,
die jeder bilden hann wie er will. Db aber Lichlers
Wasserweiber nicht formlich „wissenschastlicher" empfunden
sind mit ihrer hansequenten Vermischung des Menschlichen
mit dem Tierischen, wer machte es bezweifeln? Vach die
hauptsache bei einem Bilde ist das malerische Problem.
Und uber die Varzuge des Werhes in dieser hinsicht sind
ersreulicherweise die Slimmen viel weniger geteilt; uber die
verbluffende Naturwahrheit, wamit diese abgestorbenen
Stamme, die Seerosenstengel und die feuchten Fischschwanze
der Wasserweiber gemalt sind, ist sich so ziemlich alles
einig. Das Rufblitzen des ersten Sturrnstotzes ist malerisch
autzerordentlich geschickt charahterisiert. Und die „ganz
sinnlose" Seerasengirlande erfullt in genial-einfacher Weise
eine malerische hauptaufgabe: sie macht das Bild malerisch
zum „Fest", ohne sie ware es eine schroere Gewitterland-
schast, der die freudige helle sehit. So rundet sich das
Dehorative in Lichlers Bilde zu geschlossener, starher, ver-
innerlichter Wirhung, der sich gleich beim Lrscheinen des
Werhes vielseitiger Beisall und starher Lrsalg zuwandte.
Erlers „Sonnenwende" scheint im allgemeinen viel
weniger Widerspruch zu begegnen als Lichlers „Naturfest".
Warum? 3{t es doch in den Farben u. E. viel gewagter,
neigt vielleicht sagar zur Qbertreibung in dieser Hinsicht,
es ist seinem ganzen Wesen nach viel weniger hlar wie das
„Natursest"; wollte man sich ganz scharf ausdrucken,
i hannte man es diesem gegenuber beinahe trivial nenr.en.
[ Aber es liegt ein hauch von Sentimentalitat daruber,
.trivialer Sentimentalitat, wenn man so will, und darum v)
. unser liebes deutsches Publihum, nicht abgeneigt mit o!!
Und nun in medias res: Mit einem frischen Sprung i
Hinein in die huhlen Fluten des allerneuesten Runstschossens. s
Die linke Rorperfeite ist die Herzseite, also beginnen wir1
der Abwechslung halber aus einmal mit der linhen Nus- 1
stellungsseite und zrvar mit den vordersten Salen (9 und 10),
so gelangen wir zur
»Stolle«.
Tin Dild hat hier vor allem den wildesten Meinungs-
streit entsesselt: R. W. Lichlers „Natursest". Doch be-
vor wir uns dieses seibst naher betrachten, sehen wir uns
im Nebensaale desselben Runstiers sarbige Seichnung aus Holz-
brett „Schaser im Herbst" an. Ghne uns mit der Perspektive
vielleicht vallig einverstanden zu erklaren, erhennen wir
doch deutlich einen Rnnstler, der im Rnschlutz an Thoma
und verwandte Deister den Stimmungsgehalt eines Land-
schaftsbildes durch leise Nnnaherung an den Marchenton
zu honzentrieren versteht und dieses Ronnen in den Dienst
des Strebens nach einer neuen dekorativen Malweise zu
jtellen strebt. Wie er in dieser Hinsicht die Masern des
Holzes unmittelbar den Swecken des Dargestellten dienst-
bar macht, ist ebenso eigenartig als naheliegend. Ghne
allzuviel Muhe konnen wir uns etma einen breiten Fries
in einem mit solcher Holzort getaselten Simmer vorstellen
und es ist sosort hlar, wieviel ein Wandschmuck an
jnnerem Werte den ost recht sragwurdigen Versuchen
dehorativer Wandmalerei in der Gegenwart uberlegen
ware. Und treten wir nun vor das „Naturfest", so
finden wir dasselbe Streben nach Reform dehorativer Mal-
hunst, nur ins Gigantische gesteigert, entsprechend den
graderen Verhaltnissen des eventuel! Hier in Retracht
hommenden Raumes. Was foU das uberhaupt sein? Ich
verstehe das uberhaupt nicht, sprechen viele, leider auch
solche, die gegenuber der neueren Runst „prinzipienhalber"
bosen'willens sind. Und ihretwillen mussen wir wohl oder
ubel aus dem Lied eine Geschichte machen, seibst aus die
Gesahr hin, etwas zu tun, was des strengsten Asthelen
Ubelbefinden erregt. fllfo: Lin ganz gesahrlich Heitzer Lag
war es gewesen, schon in aller Fruhe; wie war's auch
anders moglich bei diesem anhaltend schonen Prochtwelter,
„Rellerwetter" nannten es die bierehrlichen Spietzburger
und Hatten ihre Freude daran, weniger entzuckt davon
waren aber die drei Wasserweiber drautzen im Brud), wo
ehemals der Lichwald gestanden, von dem noch einige er-
trunhene Stamme als Baumgespenster die stumpfen Sweige
gen himmel rechen; doch als die Sonne so in Halber Hohe
uber dem Wald Herauf war, da lauschte die eine plotzlich
empor und meinte bedachtig: „Heut hommt noch was! ,
„Glaub's nicht", meinte die zweite gedehnt, „das hann
sold) charahterloses Wetter gar nimmer sertig bringen".
Aber die dritte, die jungste mit dem wunderbaren stroH-
blonden haar, rechte sich plotzlich aus: „Und doch, sie hat
recht, es wird was geben, was ordentliches obenbiein!
Und sie hlatschte in die Hande: „Da roollen roir aber auch
ein ubriges tun! Deschmuchl soli er die Lrde sinden, roenn
er mit seinen Bochen voruberroettert, der alte, suchsbartige
Donnerer". Und mit eiligen hånden rooben sie aus See-