Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Dr. 30
Bayerifche 9ubildums - bandes - flusffellung 1906
Seite 675
dem Fremdartigen, das dieses Bild sicher bringt, sich ab-
zufinden. Die auch hier ost ausgeworsene Frage nach dem,
»was es darftellt", mochten wir dahin beantworten, datz
es dem Kun,tier in letter Linie rvohl um eine Gegenuber-
stellung der urrouchsig-kraftigen Art, aus roelche das Land-
Dolh seine Freude an den Feierzeiten der Natur auslebt,
und der sentimentalen, die Urtriebe zuruckdrangenden Art
der „Kulturmenschen" zu tun gewesen sei. Von grotzerer
Bedeutung erscheint mir freilich eine Wurdigung der tech-
nischen Leistung mit ihrer prachtigen Wiedergabe der zum
Nachthimmel emporlodernden Funken, wie auch an Eichlers
anderem Bilde („Nordische Mutter") das Technische, vor
allem der in der Kuhlen nebligen Luft leise wallende See
und die uberraschenden Farbenzusammenstellungen ins Auge
stechen, die eine durchaus modern empfundene dekorative
Wirkung erzielen. Freilich bleibt der Kunstler dabei nicht
slehen, das Bild ist auch ob seines geistigen Gehaltes nicht
unbedeutend. Denn diese prahistorische Mutter tragt zwar
die derben Suge, wie die anthropologische Wissenschast sie
vorzeitlichen Schudeln aufmodellierte, aber trotzdem ist es
ein vornehmes Menschenantlitz, vornehm in dem vollen
Empfinden seiner Bestimmung und seines Beruses. Und
sehe niemand eine Gebundenheit des Kunstlers in dem Um-
stande, datz er die Arbeit der Wissenschast fur sich ver-
wertet - hierin liegt eine frohe Perspektive in eine 3eit,
roo wissenschast und Kunst sich wieder naher stehen als
Heutzutage, nicht zuletzt auch in eine 3eit, da die gebildete
Welt roenigstens mit den Lrgebnissen der svrtgeschrittenen
Wissenschast so vertraut ist, datz sie die vagen sutzlichen
Phantasiegebilde der sogenannten „alten" Kunst nicht mehr
genietzen kann. Erler-Samuden sandte seinen „Teusels-
fturm", ein Bild, das ja gewitz durch seine sichere, saft
e&ige Perspektive ins Auge sticht, aber zu unklar erscheint,
um dauerndes Interesse beanspruchen zu Konnen, serner
Zwei seiner durch ihren eigenartigen Sti( ins Auge saven-
den Lerglandschaften, in denen er aus seine Weise, beinahe
aber mit verroandten Mitteln die herbe Schonheit der
Alpenroelt ahnlich roie Segantini zu schildern versteht, serner
das uberaus roarm empfundene Bild „Der grime Heinrich",
ebensalls eine Arbeit, die Stil besitzt, dabei ein schroieriges
malerisches Problem, einen grunen Schattenroinkel im
®egenfat; zum drautzen flutenden Hellen Sommertag, mit
last absichtlicher Zuruckhaltung und in Anlehnung an
Tchroindsche Motive losend, eine durchaus selbstandige
Wiedergabe des Kellerschen Rornanhelden, die den Inten-
tionen des Dichters trotzdem vollig entspricht.
Eanz ist das Dekorative auch in Gustav Lechlers
^andschaften nicht zuruckgehalten, -sie ahneln bis zu einem
geroissen Grade dem Gobelin. Lundschusten dieser Art
ftreifen naturlich Hart die Wirkung des Grotesken, und
bie ganze „Scholle" an sich beroeist ja deutlich, roie nahe
der jungen Generation von hente der Gedanke liegt, aus
dem Weg uber das Groteske das gelobte Land des
neuen Stils zu finden. Doch nahern sich Bechlers Land-
ichaften mit ihrer rucksichtslosen Konzentration und derben
Naturroahrheit, die der echte Natursreund schon desroegen
hoch schatzen mutz, roeil er Hier seine Feiertagsstimmungen
der Natur roiedergegeben sindet, dem tuchtigen Staffelei-
bilde, dessen reiner Typus freilich den Kunstlern der
„Scholle" beinahe nur ausnahmsroeise zu gelingen scheint.
ID. I. Feldbauer erreicht denselben mit seinem „Vier-
gespann", einem Bilde von feltener Krast und Grotz-
zugigkeit. Hier ist alles Starre uberrounden, der nicht
felten den Rhythmus des Geschehens lahmende Forscherblick
des Technikers vollig gebandigt durch die beste Kunstlerische
Gabe, die Kraft des Mitempfindens und Sichhineinlebens'
in seiner fertigen ja fast vollendeten Wirkung Kontrastiert
dieses Bild mit den ubrigen Sachen des vielseitigen Kunst-
lers, namentlich seinem „Rennen"- Hier tritt das Experi-
ment eben stark in den Vordergrund. Umgekehrt nahert
fich ®- Weise sogar in seinen Portrats, vor allem aber
in der „Blauen Stunde" etroas der Konvention, und
roenn man auch die Hervorragende technifche Sicherheit des
Kunstlers nicht roird verkennen durfen, vollig genugende
Rechenfchaft uber den ja sicher stimmungsstarken Licht-
gegensatz der „Blauen Stunde" bekommen roir nicht, der
sentimentale Hauch, der uber dem ganzen liegt, Kann uns
daruber nicht Hinroegtauschen. A. Munzer umgekehrt
scheint auf einen an sich Konventionellen, um nicht zu sagen
sutzlichen Stoff (ein junges Madchen mit einem Llumen-
becken vor sich aus dem Tische) um jeden Preis eine
geroisse Derbheit retten zu roollen — man sehe sich nur
3. B. an, roie er die Futze der Figur gegeben hat -,
roahrend er aus seinen beiden anderen Bildern sein glan-
Zendes Konnen namentlich in der Wiedergabe von Kleider-
und Mobelstossen spielerisch verschroendet bez. beinahe in
die Illustration versallt. In der Technik Munzer bis zu
einem geroissen Grade verroandt ist Leo Putz, dessen
manier der breiten Zarbenslecke namentlich aus die junge
Generation der Sezessionisten, roie die diesjahrige Aus-
stellung der genannten Gruppe in Munchen lehrt, einen
sehr starken Einslutz allmahlich geroonnen hat. Putz
erscheint mir vor allem desroegen als interessante Kunstler-
natur, roeil er bei ausgesprochener Begabung sur eines
der schroersten Probleme der Freilichtmalerei nicht einseitig
geroorden ist, nicht roie so viele selbst der Vesten von
Heute ungesahr stets das gleiche bringt, sondern aus allen
moglichen Gebieten abroechselnd und niemals ganz ohne
®lu& sich versucht. So erscheint er auch aus der Landes-
ausstellung- er hatte es leicht gehabt mit einigen Parade-
stucken zu prunken, -statt dessen zeigt er uns mit jener
Unbesangenheit, die an den Kunstlern der „Scholle" uber-
Haupt angenehm Hervortritt, seine Vielseitigkeit, ohne im
entserntesten daran zu denken, eventuell hier zutage tretende
Schroachen zu verbergen. Die Schroache, die bei ihm rovhl
am deutlichsten empsunden roird, ist sein Mangel einer
Klaren und starken Ersindungsgabe, -schasst er daher srei
aus der Phantasie (roie in seinem „Zaubergarten" z. B.),
so faUt er leicht ins Spielerische, -und selbst sein bestes
Konnen leidet vor den strengen Kennerblicken des grotzen
Publikums ost unter diesem Fehler. Denn roahrend er
als Freilichtmaler weiblicher Akte unter den Deutschen
von heute sast unerreicht dasteht und sicher nicht ubertrossen
roird, ist er im Arrangement ost so schroersallig Hinsichtlich