Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, HANNOVER
LINDEN
Die Poesie der Lokomotive.
Von Arno König, Hannover.
inige Jahre vor dem großen Weltkriege, der so
unendlich viele sittliche, soziale und kulturelle
Werte zerstört hat, saß ich an einem wunder-
schönen Sommernachmittage mit meinem Freunde
Fritz Wi nkler, einem äußerst talentvollen, ideen-
reichen Maler, auf der Ter-
rasse eines Berghotels in
der Nähe Dresdens. Vor
uns lag die herrliche Stadt,
durchzogen, vom breiten
Silberband der Elbe, mit
ihren vielen Türmen und
ihren zahlreichen, hoch in
den. stahlblauen Himmel
aufragenden Schornsteinen
des Fabrikviertels. Diese
mochten wohl Blick und
Gedanken meinesFreundes
auf sich gezogen haben;
denn plötzlich sagte ergänz
unvermittelt zu mir:
„Siehst du, Dichter und
Maler bringen uns immer
nur die Schönheit und die
Poesie der Natur in ihren
lyrischen Ergüssen zum
Ausdruck. Gibt es denn
nicht aber auch eine Lyrik
der Fabriken, der Ma-
schinen, des Verkehrs, ja,
der Krankenhaussäle? Es
möchte sich wohl lohnen,
auch einmal da hineinzu-
sehen mit den Augen des
Künstlers, und mehr als bisher die Poesie dieser
scheinbar so nüchternen Gebiete unseres Wirtschafts-
leben zum Gegenstände künstlerischen Schaffens zu
machen! Vereinzelt sind ja Maler und Dichter am
Werke, dies zu tun. Doch ihre Zahl ist noch sehr
gering und ihr Schaffen entbehrt des liebevollen
Eindringens in die Tiefen der Technik.
Obwohl ich ihm damals Namen nannte wie
Zola, Verhaeren, Meunier, Hugo
K r a y n usw., wollte er doch nicht zugeben, daß
diese weit genug eingedrungen seien; denn ihnen
käme es in der Hauptsache auf die Darstellung der
sozialen Seite an, während mein Freund die reine
Abb. 21 Österreichische Vierzylinder-Verbund-
Heißdampf-Schnellzuglokomotive (l-G-2) Reihe 310.
Diese künstlerische Aufnahme ist uns von Herrn K. Pflanz, Linz,
gütigst überlassen.
Lyrik dieser Gebiete schildern wollte. Leider hat
ihn sein früher Heldentod an der Ausführung seiner
lobenswerten Absicht gehindert.
Ich kann, ihm auch heute noch nicht ganz Recht
geben, denn lyrisches Empfinden löst z. B. der An-
blick eines Fabriksaales in
vollem Betriebe wohl in
den seltensten Fällen aus,
aber eine ganz eigenartige
Stimmung — und zwar
eine dramatisch sehr be-
wegte — wird in dem
künstlerisch empfindenden
Menschen hervorgerufen.
Es liegt Poesie in dem
blitzenden Gewirr von Rä-
dern, Stangen, Scheiben
und Riemen, zwischen de-
nen sich das Auge zu-
nächst nicht zurechtfinden
kann. Und warum soll
diese Poesie nicht auch
dem Dichter oder Maler
Anregung und Grundlage
geben können zu künst-
lerischen Schöpfungen? Es
würde auch unseren Inge-
nieuren nur zum Vorteil
sein, wenn sie sich gewöh-
nen könnten, die Werke
ihres Erfindergeistes einmal
mit den schönheitssuchen-
den. Augen des Künstlers
zu betrachten, und nicht
nur die Zweckmäßigkeit und Richtigkeit, sondern,
auch die Schönheit und Poesie der Form zu empfinden.
Das sachliche Denken braucht deswegen nicht die
mindeste Einbuße zu erleiden, nur die Gefühlslosig-
keit für all’ die überraschende Schönheit, die sie selbst
schaffen, müßte aufhören.
Ist nicht jede Maschine, die aus dem Schöpfer-
willen eines Ingenieurs hervorgeht, ein Wunder von
Logik, Rhythmus und Elastizität? Mich persönlich
haben seit meinen Kindheitstagen immer die Loko-
motiven als die beweglichsten Dampfmaschinen
angezogen. Welche Freude erregte bei uns Jungens
ein fahrender Zug mit der pustenden, Rauch und
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