Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, HANNOVER
LINDEN
Dampf ausspuckenden Lokomotive davor! Wie neu-
gierig bestaunten wir solch ein ehrfürchtiges Unge-
heuer, wenn es kurz vor der Brücke still stand, von
der aus wir tage-, ja wochenlang den Zugverkehr
beobachteten und uns die Namen und Nummern
der vorbeifahrenden Lokomotiven aufschrieben. Da
hatten wir Muße, es eingehend — wenn auch aus
ziemlicher Entfernung — zu betrachten! Wie gern
hätten wir eine Fahrt auf einer Lokomotive mit-
gemacht! Und Lokomotivführer zu werden, erschien
uns als Gipfel der Seligkeit. Das Spiel mußte er-
setzen, was uns die Wirk-
lichkeit nicht geben konnte.
Das „Zug-Spielen“ war uns
am liebsten und interessan-
testen von allen Spielen.
Unermüdlich wurden auf
die weiche Erde die
„Schienen“ gezogen mit
„Weichen“ und „Dreh-
scheiben“, auf denen sich
dann der Zugverkehr ab-
wickelte. Natürlich wollte
jeder von meinen Spiel-
kameraden die Lokomotive
sein. Wenn es uns vergönnt
war, mit den Eltern einmal
eine Eisenbahnfahrt zu
unternehmen,dann standen
wir mit wonnevollem Herz-
klopfen ganz nahe vor einer
richtigen Lokomotive und
staunten. Die Lokomotive
in der Nähe betrachten zu
können, war das Schönste
an der ganzen Reise.
Dieses Gefühl hat sich in seinen Grundzügen bis
heute in mir erhalten. Das kam mir so recht zum
Bewußtsein, als ich kürzlich Gelegenheit hatte, in
einer der bedeutendsten Lokomotivfabriken Deutsch-
lands, in der Hannoverschen Maschinenbau A.-G.
vormals Georg Egestorff, Hannover-Linden, unter
sachkundiger Erklärung eines Ingenieurs eine neu-
erbaute Schnellzugslokomotive in allen Einzelheiten
betrachten zu dürfen.
Da stand sie vor mir in der Lackiererei der
Hanomag, „die Pfmgstlokomotive“, wie sie die
Arbeiter nannten, weil sie zu Pfingsten „herausgehen“
sollte. Im schmucken bunten Farbenkleide! Grün
und rot sind die herrschenden Farben. Das hatte
ich nicht gewußt, daß sie in so schönem Kleide ihre
lange Reise beginnt. Ich kannte sie nur im schwarzen
Abb. 22
Anfahrende Lokomotive.
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Werktagsrocke, wie sie ihn durch schwere, rastlose
Arbeit bekommt. Mit ehrfurchtsvollem Staunen
glitt mein Blick über den gewaltigen Stahlleib, der
sich schlank und rank vor mir in der Halle dehnte.
Wie alles an ihm blitzte und funkelte! Wuchtig und
kraftvoll steht die Maschine vor mir wie ein zu Stahl
erstarrter Gedanke ihres Erzeugers. In machtvoller
Ruhe nimmt sie die letzten Handreichungen ent-
gegen, die ihr von den Arbeitern mit Liebe und
Sorgfalt dargebracht werden. Sie träumt gewiß
schon von weiten, weiten Fahrten durch ferne, blaue
Länder, von goldnen Seen,
in denen sich die Morgen-
sonne spiegelt, von rau-
schenden Strömen, über
die sich weitgespannte
Brückenbogen wölben,vom
schweigenden Tannen-
walde,über den das silberne
Mondlicht ein magisches
Netz spannt. Bald werden
alle diese Träume zu
Wirklichkeiten, denn bald
ist sie ganz frei von der
drückenden Enge derWerk-
statt. Sie ahnt, wie schön
es sein muß, wenn die
belebende Spannkraft des
Dampfes ihr Inneres durch-
strömen wird, wenn die
gut geölten Glieder ihres
Leibes in wunderbar sinn-
reichem Durcheinander
spielen und ihr die Kraft
verleihen werden, weite
Strecken zu durcheilen
auf den glatten Schienenwegen, die die Menschen
ihr gebaut haben. Noch sind diese stählernen
Glieder steif und unbeweglich, ungelenk, bald aber
werden sie entfesselt ihre Kraft beweisen und
schwere Lasten hinter sich herziehen. Wie ein zum
Sprunge geduckter Panther steht die Lokomotive
in der Halle, geschmeidig an Leib und Gliedern!
Trotz ihrer eisernen Größe verhältnismäßig und
schön in der Form, markig und geschmackvoll
in der Linienführung! Ein überragendes Zeugnis
menschlicher Geisteskraft, die sie geschaffen und
zu dieser Entwicklungshöhe gebracht hat.
Wie klein komme ich selbst mir vor neben diesem
stählernen Koloß, zu dem ich aufblicken muß. Die
kraftvollen Räder sind fast größer als ich (1,75 m).
Und all die vielen Hebel, Rohre, Leitungen, Hähne,
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