Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, HANNOVER
LINDEN
Schrauben und Schräubchen! Ihr Anblick verwirrt
mich, und ich finde mich nicht mehr zurecht. Für
mich als Laien haben sie auch nicht die Bedeutung,
die der Techniker in ihnen empfindet. Mir kommt
nur der künstlerische Gesamteindruck zum Bewußt-
sein, den die Lokomotive hier in der Halle auf meine
Sinne ausübt.
Es ist etwas Großes um ein solches Gebilde aus
Menschenhand! Man fühlt sich erdrückt von der
gewaltigen und massigen Kraft und Wucht, die
von einer modernen Lokomotive ausströmen. Ein
ehrfurchtsvoller Schauer überkommt mich bei ihrem
Anblick, und doch habe ich dabei das Gefühl des
Zuverlässigen und Treuen. Nichts Bösartiges hat
die Lokomotive an sich, wie ich es oft beim Anblick
anderer Maschinen empfunden habe, als beugten
sie sich nur widerwillig unter die führende Hand
des Menschen. Wie ein edles Pferd ist sie bereit,
ihre Stärke und Treue in seinen Dienst zu stellen,
ihn und seine Lasten in raschem Laufe durch weite
Länder zu tragen. Lieb und vertraut mutet mich
ihr Anblick an, und gern will ich mich ihr anver-
trauen. Sie kann mir helfen, meine Sehnsucht in
die Ferne zu stillen. Wie Neid überkommt es mich
immer, sehe ich einen Zug an mir vorübersausen.
Wer doch mitreisen könnte in die wunderschöne,
weite, weite Welt! Herrlich diese ungehemmte Kraft,
mit der die Lokomotive eine lange Reihe schwerer
D-Zug-Wagen hinter sich herschleppt! Nur der
zischende, pustende Dampf verrät die Größe der
Anstrengung. Doch scheint es ihr Freude zu machen,
dieses rastlose Dahinbrausen einem fernen Ziele
entgegen! Lustig weht die weiße Rauchfahne in
der blauen Sommerluft. Wie Katzenaugen funkeln
die blitzenden Scheinwerfer der Maschine. Unauf-
haltsam vorwärts! Und schon ist alles vorüber.
Nur ein paar weiße Raucliwölkchen erinnern noch
daran, daß soeben ein Wunder an mir vorbeiglitt.
Ein Wunder, das von den meisten Menschen wohl
nicht mehr als solches betrachtet wird. Daß der
Mensch es vermag, eine so vollkommene Maschine
zu bauen und mit ihrer Hilfe eine wilde Naturmacht
wie die Spannkraft des Dampfes zum gehorsamen
Diener seines Willens zu machen, ist und bleibt
für immer ein Wunder.
Ja, es steckt wohl Zauber und Poesie in der
Lokomotive, wenn man sie nicht nur vom technischen
Standpunkte aus ansieht. Sie ist durchaus kein
totes und willenloses Wesen. Jeder Lokomotivführer
wird das bestätigen. Sie hat Seele und Willen und
muß auch danach gehalten werden, sonst könnte
es wohl Vorkommen, daß sie sich aufbäumt gegen
ungerechte und harte Behandlung. Immer freue ich
mich, wenn ich beobachte, wie die Arbeiter sie be-
handeln wie ein lebendes Wesen, vorsorglich und lieb
mit ihr umgehen, von ihr sprechen, wie von einem
Menschen. In diesen Männern steckt unbewußt ein
Stück poetischen Empfindens, das uns Menschen
unter dem Druck des hastenden Lebens heute
immer mehr abhanden kommt und beinahe nur noch
in der Seele des Künstlers wacht und der erweckenden
Hand harrt. Mehr Poesie im Leben, sei es auf wirt-
schaftlichem, sei es auf technischem Gebiete, kann
uns allen nicht schaden, sondern tut uns sehr not.
Phot. WolfT, Hannover.
Schnellzug auf starker Steigung bei Goslar.
Abb. 23
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