Schloss Gottorp
ein nordischer Fürstensitz
Forfatter: Robert Schmidt
År: 1887
Forlag: Ernst Homann
Sted: Kiel
Sider: 135
UDK: st.f. 725.17 sch
Mit vielen Lithographien und Lichtdrucken
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anderer Gewerbe, besonders auch der in der Mitte des 16. Jahrhunderts in der deutschen und holländischen
Renaissance üblichen, anscheinend der Ledertechnik entnommenen Formen J) mit ausgeschnittenen und abgebogenen
Rändern. Letztere Ornamentirung, die sogenannte Cartouche, wetteiferte mit den graciösen italienischen Grottesken,
welche in ihrer bunten, phantastischen Verflechtung von Pflanzenformen mit Putten, antiken Fabelwesen, Masken
und Emblemen aller Art auf den schaffenden Künstler eine Fülle von Anregungen ausübten und an Friesen, Säulen-
schäften, Pilastern, Zwickelbögen u. s. w. zu den mannigfachsten Varianten Gelegenheit gaben. Mit besonderer Vor-
liebe sehen wir jedocli die deutschen Künstler bei der Cartouche mit ihren hobelspanartig aufgerollten Rändern ver-
weilen. Auch wurden sie nicht müde, fort und fort aus den verschiedensten Gebieten der Technik und des Ge-
werbes neue Formgedanken zu entlehnen und auszubilden. Stellte sich auf diese Weise die deutsche Renaissance
eine von der italienischen verschiedene, unabhängige Aufgabe, so hat sie dieselbe auch zu reizvoller und an-
muthiger Lösung gebracht. Durch die Ausschmückung der Portale mit Pilastern und Hermen und in den Füllungen
an Stelle des gothischen Masswerkes mit schwungvollem Rankenornamente, mit Putten und Thiergestalten,
flatternden Bändern und Fruchtgehängen wurden die anmuthigsten Effecte erzielt. Der Hauptreiz aber wird
durch die Ausbildungen des Giebels, gleichsam der Blüthe des ganzen Baues, ausgeübt. Derselbe wurde in der
Regel durcli Pilasterstellungen gegliedert und durch kräftige Gesimse in mehrere Geschosse getheilt, während auf
die vorspringenden Ecken in freier Umbildung gothische Fialen, kleine Obelisken oder Stelen, auch Kugeln u. dgl.
gestellt wurden. Hier hat die Verbindung der Detailformen der Renaissance mit den gothischen Structivformen
zu den reizvollsten und ansprechendsten Combinationen geführt, welche für diesen Stil besonders characteristisch
sind. Der reich verzierte Aufsatzgiebel besass seine eigene Bedachung, welche sicli vom Hauptdache constructiv
abzweigte. Dadurch hatte man äusser einer verstärkten Totalwirkung aucli grössere Räume im Innern und einen
stärkeren Zufluss von Luft und Licht erlangt. Im Gegensatze zu den Formen des Giebels enthielt sich der
Unterbau entsprechend den bedeutenderen Verhältnissen jeder kleinlichen Detaillirung.
Durch die geschilderte Uebertragung der neuen Decorationensweise auf die alte Bauform gewann die deutsche
Renaissance ihren eigenartigen Charakter. Sie tritt nicht in so edlen Formen auf wie die gleichzeitige und
frühere italienische Renaissance, auch nicht so bestimmt und ernst wie die holländische und ist nicht ohne
Härten. Doch dafür birgt sie einen reichen Schatz von Phantasie und munterer Laune (Humor). Nirgends trägt
sie den Stempel abgeschlossener theoretischer Regeln, wie solche in der italienischen Renaissance und später,
nachdem die neue Bauweise die nationale Eigenart mehr abgestreift hatte, auch in Deutschland zur Anwendung
gekommen sind.
Die nordische Renaissance war freilich auch nicht frei von Schwächen. Indem sie ihr Können zu sehr auf
das Detail richtete und sich mit zu grosser Vorliebe der Auszierung einzelner Theile, wie der Portale, Giebel, Erker, hin-
gab, verlor sie den zur Lösung grosser Aufgaben nöthigen Ueberblick. Eine Schwäche des Stils zeigt sich gern da,
wo es sich um die Gliederung der Architektur handelt. Die Formen der Gebälk- und Bogenarchitektur sind dem
deutschen Baumeister der Renaissance selten vollständig geläufig gewesen, und der ganze Reichthum der Ornamentik
ist nicht im Stande, diese Unsicherheit zu verdecken. Es hängt daher diesem Stile in der grossen Architektur auch
ein Zug von Dilettantismus und Handwerksmässigem an. Die einfachen, grossen Linien und wohl abgewogenen
Verhältnisse bleiben den Meistern häufig ebenso fremd, wie die Wirkung des Raumes in seiner Gesammtform.
Diese Eigenart musste übrigens mit der Zeit fremden Einflüssen weichen. Nur wenige Jahrzehnte konnte
sie sich erhalten. Dann gelangten die aus den Werken italienischer Theoretiker gewonnenen Normen, besonders
über die Façadenbildung, auch bei uns zur Herrschaft. Doch vermochten die Verehrer Vitruvs zum Glücke die
Giebel nicht zu verdrängen, und so blieben diese auch später noch der Glanzpunkt der deutschen Baukunst.
In früheren Zeiten gab es bei uns noch keine Baukünstler wie in anderen Ländern, wo die Renaissance der
Kunst auch Jünger aus den ersten Geschlechtern zuführte, welche mit hoher Bildung ausgestattet waren und
mit stolzem Bewusstsein auftraten. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts nennen sich die bei den Schlossbauten
Schleswig-Holsteins beschäftigten Männer einfach „Meister“, und auch später blieben sie meist schlichte
Handwerker, die sich in ihrer Lebensstellung und in ihrem Bildungsgrade nicht über alltägliche Anschauungen
erhoben. Ihr Wissen schöpften sie u. a. auch aus theoretischen Schriften, welche, wie die Lehrbücher des
Rivius, für einfache Werkmeister berechnet waren. Von Studienreisen nach Italien und aus eigener An-
schauung gewonnener künstlerischer Ueberzeugung ist noch lange nicht die Rede. Die Fürsten liessen sich
deshalb bald, wie wir es auch zu Gottorp sehen, auswärtige Baukünstler kommen, zunächst aus Frankreich, später
aus Holland und Italien2). Wir finden, dass befreundete Höfe nicht selten ihre Architekten sich gegenseitig zu-
1) Charakteristische Beispiele findet man in Abraham Ortelius: Theatrum orbis terrarum (Antwerpen 1570), und in den zahlreichen Stichen
von Jost Amman, Battista Pittori, Vredemann de Vries.
^ Noch im 17. Jahrhunderte liess König Christian IV., welcher in Dänemark die meisten und interessantesten Bauten aufführte, für seine
Unternehmungen berühmte ausländische Baukünstler u. a. auch aus England kommen.
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