Schloss Gottorp
ein nordischer Fürstensitz
Forfatter: Robert Schmidt
År: 1887
Forlag: Ernst Homann
Sted: Kiel
Sider: 135
UDK: st.f. 725.17 sch
Mit vielen Lithographien und Lichtdrucken
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wir die Willkür zum Princip erhoben. Vor allem war man bestrebt, durch starke und gesuchte Contraste sowie
durch üppigen Luxus die gewünschten Wirkungen hervorzubringen. Heberall finden wir ein malerisches Auf- und
Abwogen, Unruhe, Ueberladung; die geraden Linien werden nach Möglichkeit vermieden, selbst die Wandflächen
erhalten wellenförmige Ausbauchungen (Kommodenstil), und somit wurden die antiken Formen bis zur Karrikatur
verunstaltet. Doch es war dies nur die Folge bei den kleineren Geistern, die den Reichthum von Kunstgedanken,
die in dem Barockstil Michelangelo’s verborgen lagen, in ihrer Weise missbrauchten. Oft genug tritt uns das per-
sönliche Können von Meistern, die in diesen immer mehr den nationalen Boden verlassenden Formen schufen, in genialer
Weise entgegen. In Deutschland entstanden zu Dresden, Wien, Berlin, Potsdam, Prag, München nicht selten sogar unter
Verbindung verschiedener Stilrichtungen Werke, bei denen durch eine weise Mässigung die Stilschwächen weniger
hervortraten, und die wir daher bewundern und wegen ihrer hohen malerischen Schönheit sowie wegen der guten
Verhältnisse der Massen, der Eleganz und feierlichen Pracht bei Entwürfen zu fürstlichen Wohnsitzen noch heute
studiren. In eigenartiger Weise tritt uns das Streben nach malerischer Wirkung im Norden entgegen. Die
Licht- und Schattenwirkungen sollen möglichst verstärkt werden, und aus diesem Bestreben heraus entsteht nun
die Gestaltung der Grundrisse. Die Pilaster und Säulen werden verdoppelt, die Gesimse treten stark hervor;
die Flächen werden durch Rustika-Quaderung belebt; Doppelvoluten, Cartouche, Spirale und verschiedene Curven
finden häufige Anwendung. Besonders tritt uns in Berlin Andreas Schlüter1) mit seinen dem Barock — unter
welchem Namen wir besonders die auf eine gesteigerte Wirkung ausgehende Kunstweise begreifen, die uns am bezeich-
nendsten in den gegen Schluss des 17. Jahrhunderts entstandenen Jesuitenkirchen und in den Palastbauten aus der
Zeit Ludwig’s XIV. begegnet — nahe verwandten Bauten entgegen. Seine stattlichen Façaden mit breiten
Fenstern und reichen, durch Säulen, Nischen und Balustraden geschmückten Portalen dienen mit ihrem vielfachen
und gediegenen Schmuck als ein Vorbild architektonischer Verhältnisse und wirkungsvoll decorativer Plastik.
Vor allen anderen Bauten ragt das Berliner Zeughaus, von J. A. Nehring entworfen und nach dessen Tode
1695 — 1706 von Schlüter und J. de Bodt2) ausgeführt, sowie das königliche Schloss (1699) hervor. Bei
der Ausstattung der Festräume des letzteren ist malerischen Wirkungen besonders in den figürlichen Bildungen
ein weites Feld eingeräumt worden.
Mit Schlüter haben wir bereits die Grenze erreicht, an der sich das Barock mit dem Rokoko berührt3).
Noch zur Zeit der Herrschaft des Schleswig-Holstein-Gottorp’schen Hauses auf ihrem Stammschlosse zog es (nach
manchen Kunstforschern beginnt es schon um 1650) in dasselbe ein, blieb jedoch ebenso wie das Barock auf die
äussere Architektur des Schlosses ohne wesentlichen Einfluss. Diese ist vielmehr, obwohl wir an anderen Schlössern
der Herzöge vielfach dem Barock ein Feld einräumen sahen, zum Schlüsse dieser Entwickelung, die in Berlin mit
so wirkungsvollen Bauten endet, ganz in der strengen, auch dem italienischen Barock fremden, symmetrischen,
vornehm-kalten und gemessenen Renaissance gehalten. Es bezieht sich dies auf den Südflügel Gottorps, der
unter Friedrich IV. (1694 —1702) mit Ausnahme der Zimmer, welche die Bibliothek und die Kunstkammer ent-
hielten, neu aufgeführt wurde, und zwar um ein Stockwerk höher und in weit grösseren Dimensionen. Die Reste
des alten Schlossthurmes wurden damals niedergerissen und der Südflügel nach Osten bedeutend verlängert4).
Zu einer bei weitem grösseren Prachtentfaltung als in der Architectur gelangte die Renaissance und die ihr
folgenden Stilgattungen zu Gottorp in der inneren Ausstattung des Schlosses, also in den Erzeugnissen des Kunst-
gewerbes, in welchem der neue Stil hier überhaupt eher Anwendung gefunden hatte als bei der eigentlichen
Architectur5). Gerade in diesen kleineren Aufgaben hat sich die nordische Renaissance am tüchtigsten erwiesen
und ihre Lust zu Verzierungen am schönsten zur Geltung gebracht, wie uns die erhaltenen Thore, Grabdenk-
mäler u. dgl. deutlich erkennen lassen. Am klarsten aber tritt dies bei den Holzdecken und Holzvertäfelungen
zu Tage; hier war durch freie Behandlung der Säulen und des Gebälkes, sowie durch Ausfüllung der Flächen
mit Gebilden der Plastik und eingelegten Arbeiten der künstlerischen Erfindungsgabe der weiteste Spielraum ge-
geben, so dass gerade diese Erzeugnisse der Holztechnik zu den besten Leistungen des Stils gehören. Freilich
i) lieber die Studien und ileisen dieses für die nordische Architektur so wichtigen Künstlers vergleiche II. Dohme, Das königliche Schloss
zu Berlin, sowie Kunst und Künstler, Leipzig 1876.
2) de Bodt hat sich besonders auch durch das sogen. Japanische Palais in Dresden bekannt gemacht.
3) Eine dem Barock und Rokoko gemeinsame Eigenschaft ist ihre Unduldsamkeit gegen den Geschmack früherer Zeiten. Während wir bei
Restaurationen möglichst conservativ verfahren, beseitigte man damals, als man ihnen huldigte, die „Werke der früheren Barbarei“ oft in gründ-
lichster Weise. — Das Gemeinsame der durch die verschiedenen Länder Europa’s so mannigfach schillernden Entwickelung dieser Periode, man könnte
sagen, die Aesthetik der Architektur des 17. und 18. Jahrh. hat A. v. Zahn in seinem Aufsatze „Barock, Rokoko und Zopf“ (Zeitschrift für
bildende Kunst 1873) trefflich geschildert. Vgl. auch Zeitschrift d. Oesterr. Architekten und Ingen.-Vereins 1873.
I) Auf Taf. VI u. VII ist dies ersichtlich. Es ist hier auch das Alter der Mauern nach dem Stande der heutigen Forschung durch ver-
schiedenartige Abtönung hervorgehoben. Mit Bezugnahme auf die durch Taf. II r. wiedergebenen älteren Darstellungen bemerke ich noch, dass
Schloss Gottorp hier durchaus nicht correkt und die architektonischen Details, besonders die der Südfront, ganz unverstanden wiedergegeben sind.
6) Vgl. oben S. 23. Dass sich trotzdem daneben gerade in den Kleinkünsten gothische Formen und selbst an romanische Vorbilder er-
innernde Motive bis in das 16. Jahrhundert erhalten haben, ist ebendort erwähnt.
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